Joh 8,1-11

5. So. in der Fastenzeit / Lesejahr C

Urteilsvermögen

Na, was sagst du dazu? Diese oder ähnliche Fragen stellen Menschen aus verschiedensten Interessen heraus. Aus bloßer Neugier, aus Interesse an einer Sache, aus Sensationslust, aus Schadenfreude oder wie im Falle Jesu, aus dem Grund, dem anderen eine Schlinge zu legen.

Unser Urteilsvermögen wird immer wieder gefordert. Nicht immer urteilen wir mit Rücksicht auf den oder die Betroffenen. Wir urteilen oft ohne den Sachverhalt zu kennen, auf jeden Fall zu unseren Gunsten. Und laut Gesetz befinden wir uns im Recht. Das heutige Evangelium stellt uns die Frage: Ist Recht immer heilsam? Geht beim Recht alles mit rechten Dingen zu? Mit welchem Maß wird gemessen?

Ist es Recht und heilsam einen Menschen zu verurteilen, weil er bei Rotlicht eine Straße überquert hat, obwohl weit und breit kein Auto zu sehen war? Hingegen werden andere nicht einmal mit ihrem Tun konfrontiert, wenn sie Menschen mit seelischen Grausamkeiten quälen und sie an den Rand der Verzweiflung oder gar in den Tod treiben. Auf der einen Seite werden Menschen verurteilt für einen Ausrutscher, auf der anderen Seite spielen sich Menschen ungestraft mit der Lebensgrundlage ihrer Mitmenschen.

Um unser Tun , unsere Verurteilungen zu rechtfertigen, berufen wir uns auf sehr allgemeine und unangreifbare Instanzen. Wir berufen uns

  • auf Gewohnheitsrechte – auch bei unsozialen Gewohnheiten.
  • auf wohlerworbene Rechte, auch wenn andere darunter leiden
  • auf den Einfluss der Medien, auch wenn wir uns diesem Einfluss selbst aussetzen
  • auf Politiker, die vorgeben das Beste für die Menschen zu wollen
  • gerne auf unsere Machtlosigkeit, was hätte ich tun sollen
  • die, die da gemeint haben, so oder so solle es sein

Die Pharisäer und Schriftgelehrten beriefen sich auf Moses und seine unantastbaren Gesetze. Sie sagten: er schreibt uns sogar vor solche Frauen zu steinigen.

Zu dieser Sache wird von Jesus ein Urteil verlangt - und er verweigert ein Urteil. Wie kann er das?

Er geht von einer anderen Art von Gerechtigkeit aus – von der Gerechtigkeit Gottes. Die Gerechtigkeit Gottes unterscheidet sich wesentlich von der der Menschen.

Menschliche Gerechtigkeit schließt aus:

  • Kinder, die sich den Interessen der Eltern widersetzen werden mit Liebesentzug bestraft
  • Jugendliche, die nicht die erwarteten Leistungen bringen, dürfen sich nicht mit Gleichaltrigen treffen
  • Erwachsene deren Ehe gescheitert ist und die es unter anderen Voraussetzungen nochmals versuchen wollen, werden von der Kommunion ausgeschlossen
  • Menschen, die neue Sichtweisen in das Denken der Kirche einbringen, dürfen sich nicht mehr öffentlich äußern

Gottes Gerechtigkeit will das Leben – auch ich verurteile dich nicht, geh und sündige von jetzt an nicht mehr. Gottes Gerechtigkeit ist Beziehung. Wenn ich sündige, störe ich diese Beziehung zu Gott, dann säge ich selbst an dem Ast, der mich mit dem Leben, mit Gott verbindet. Es geht um diese Gerechtigkeit Gottes, für die Jesus den Tod auf sich nimmt. Denn Gott als letzte Autorität in meinem Leben anzuerkennen, kann heißen, dass ich mich manchmal über menschliche Gesetze und Vorschriften hinwegsetzen muss. Das kann heißen, dass ich den Unmut und das Unverständnis ja sogar den Hass mancher Mitmenschen, auch vorgesetzter Mitmenschen auf mich ziehe. Darum verlangt das Leben im Geist Jesu und in der Gerechtigkeit Gottes Mut und Rückgrat. Uns allen wünsche ich diesen Mut gegen den Strom zu schwimmen. Durch unser Leben und Handeln, durch unseren aufrechten Gang, soll die neue Gerechtigkeit Gottes in dieser Welt sichtbar und erfahrbar werden.