1. Adventsonntag
Lk 21,2-28.34-36 29.11.2009
Lesejahr C

Mauern

Diejenigen, die heute die Kirche von hinten betreten haben, sind vor einer Mauer gestanden. Diese Mauer wird uns als Symbol durch die Zeit des Advents begleiten. Sie erinnert uns an die Mauern, die vor 20 Jahren in Europa gefallen sind. Sie erinnert uns auch an die Mauern, die aus vielerlei Beweggründen auch heute und morgen immer wieder aufgebaut werden, sei es die Mauer zwischen Israel und Palästina, zwischen Inländern und Ausländern - Mauern der Angst und des Hasses entstehen nicht nur aus politischer Motivation.
Mauern entstehen auch in den Biotopen der menschlichen Nähe und Geborgenheit, den Familien. Zwischen Menschen, die einmal vor hatten, einander über alle Grenzen und Abgründe hinweg zu lieben bis der Tod sie scheidet. Aus Angst zu kurz zu kommen, aus Angst selbst zu wenig Mensch sein zu können, errichten wir Mauern, um uns zu schützen vor den Dingen die über uns hereinbrechen könnten - wie wir es aus der Schriftstelle des Lukasevangeliums gehört haben. Die Botschaft des zu erwartenden Messias heißt in solch bedrohlichen Situationen nicht, sich zu verstecken hinter Mauern, sondern aufrecht den Herausforderungen des Lebens entgegen zu treten.
Das Toben des Meeres, die Ratlosigkeit der Völker kann stehen für die globalen Veränderungen, denen gegenüber wir uns oft sehr machtlos ausgeliefert fühlen.
Diese Erschütterungen und Ereignisse können aber auch Ausdruck meiner ganz persönlichen Ängste und Nöte sein. Schließlich werden wir von den Medien und unserer Mitwelt tagtäglich mit negativen Nachrichten aller Art konfrontiert.
In diese Situation hinein tritt die menschliche Gestalt Gottes, die den Menschen nahe gekommene Liebe Gottes. Sie legt uns nahe den Blick zu erheben, die Augen zu öffnen für die Erlösung, die oft näher ist als wir glauben möchten.
Die Lösung unserer Ängste liegt nicht darin uns hinter Mauern in Sorgen zu quälen oder sie in Süchten zu ersticken. Zu viele wissen, dass die Flucht vor den Problemen diese nur noch größer werden lässt. Sind wir wachsam, dass wir nicht an unserer eigenen Angst zu Grunde gehen. Sind wir wachsam, dass wir nicht glauben, dass in Trennungen und glatten Schnitten Erlösung zu finden ist.
Sind wir wachsam, dass wir unsere Begrenztheit nicht für allgemein gültig erklären.
Erheben wir uns, die Erlösung ist nahe, sie schaut uns entgegen sobald wir über unsere Mauern blicken - sobald wir den Menschen, die uns Probleme machen, in die Augen schauen und indem wir beginnen Ziegel für Ziegel unsere Ängste abzutragen.
Auch die Berliner Mauer konnte nur beseitigt werden, weil Menschen den Mut hatten, trotz aller Angst die da war, über die Mauer zu schauen und zu erkennen: auch drüben sind Menschen wie ich, unvollkommen aber liebenswert. Die Hoffnung, dass ohne Mauer das Leben sich besser entfalten kann hat Kraft gegeben. Wenn wir beginnen unsere selbst errichteten Mauern zu sehen  und zu benennen und uns bemühen sie niedriger zu machen können wir uns freuen, denn es gibt jemand, der uns entgegen lächelt und der uns hilft unsere Mauern so weit abzutragen, dass sie wieder überwindbar werden. Das kann der Menschensohn sein in Gestalt der Menschen zu denen ich einst ja gesagt habe, in Gestalt von Menschen, die ich einst sehr gemocht oder geliebt habe oder aber auch in Gestalt von Menschen die mir ganz neu nahe gekommen sind. Wir können vielen Nöten entrinnen in dem wir wachsam umherschauen und früh genug draufkommen, dass wir uns vielleicht zu lange mit uns selbst beschäftigt haben und dass inzwischen eine Mauer zu anderen Menschen entstanden ist. Dann ist es Zeit den Blick zu erheben und nach den Menschen Ausschau zu halten, die mir abhanden gekommen sind.
Die Mauer vor unserem Kircheneingang kann uns helfen unsere eigenen Mauern zu erkennen und zu benennen.
Ich lade sie ein zu einem Experiment:
Stellen sie sich nahe an die Mauer mit dem Gesicht zur Wand und versuchen sie der Mauer Namen und Gesichter zu geben. Versuchen sie ihre Ängste, Nöte und Leiden in Gedanken auf diese Mauer zu schreiben.
Das kann ein erster Schritt sein in Richtung Weihnachten. Das ist Advent, wenn die erlösende Liebe Gottes mich in Bewegung bringt.
In diesem Sinn wünsche ich uns allen hier in der Kirche und den vielen, die nicht hier sind eine gute Zeit bis zum ganz persönlichen Mauerfall.