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Leidensgeschichte nach Lukas

Karfreitag / Lesejahr C

Tod oder Leben

Ein moderner Mensch verirrte sich in einer Wüste. Tage- und nächtelang irrte er umher. Wie lange braucht man, um zu verhungern und zu verdursten? Das überlegte er sich beständig. Er wusste, dass man länger ohne Nahrung leben kann als ohne etwas zu trinken. Die unbarmherzige Sonnenglut hatte ihn ausgedörrt. Er fieberte. Wenn er erschöpft ein paar Stunden schlief, träumte er von Wasser, von Orangen und Datteln. Dann erwachte er zu schlimmerer Qual und taumelte weiter.
Da sah er in einiger Entfernung eine Oase. "Aha, eine Fata Morgana!", dachte er. "Eine Luftspiegelung, die mich narrt und zur Verzweiflung treiben will, denn in Wirklichkeit ist gar nichts da." Er näherte sich der Oase, aber sie verschwand nicht. Sie wurde im Gegenteil immer deutlicher. Er sah die Dattelpalmen, das Gras und die Felsen, zwischen denen eine Quelle entsprang.
"Es kann natürlich auch eine Hungerfantasie sein, die mir mein halbwahnsinniges Hirn vorgaukelt", dachte er. "Solche Fantasien hat man ja in meinem Zustand. Natürlich - und jetzt höre ich sogar das Wasser sprudeln. Eine Gehörhalluzination. Wie grausam die Natur ist!" - Mit diesem Gedanken brach er zusammen. Er starb mit einem lautlosen Fluch über die unerbittliche Bösartigkeit des Lebens.
Eine Stunde später fanden ihn zwei Beduinen. "Kannst du so etwas verstehen?" sagte der eine zum anderen. "Die Datteln wachsen ihm ja beinahe in den Mund - er hätte nur die Hand auszustrecken brauchen. Und dicht neben der Quelle liegt er, mitten in der schönsten Oase - verhungert und verdurstet. Wie ist das möglich?"
"Er war ein moderner Mensch", antwortete der andere Beduine. "Er hat nicht daran geglaubt."
Er hat nicht daran geglaubt, dass er von seiner Qual erlöst werden kann. Er war zu sehr Realist, als dass er die Wirklichkeit ernst genommen hätte.
Jesus schenkte uns Menschen durch seine Art zu leben und zu lieben eine neue Art zu leben, nicht mehr Aug um Aug, Zahn um Zahn, wie du mir so ich dir, sind die Devise, sondern liebe Gott und deinen Nächsten so wie dich selbst und vergib, so wird auch dir vergeben - das sind die Dimensionen christlichen Lebens.
Jesus hat uns nicht nur eine neue Qualität des Lebens gebracht, sondern durch sein Leiden und seinen Tod auch eine ganz neue Qualität des Sterbens.
Ob wir in unserem Leben viel oder wenig erreicht haben hat keinen Einfluss auf unser Sterben. Unser Sterben ist ein Ankommen in der Oase des Himmels, ist ein Trinken von der Quelle des Lebens. Ob wir voller Unglauben und voller Hass vor der Quelle des Lebens verdursten, oder ob wir uns hinknien im Glauben daran, dass das, was Jesus uns verheißen hat auch wahr ist, das liegt an uns - an dir und an mir.
An den Verbrechern, die mit Jesus gekreuzigt wurden, wird die Geschichte des Mannes, der an der Quelle verdurstet ist noch einmal deutlich gemacht. Glaube oder Unglaube entscheiden zwischen Leben und Tod!